ZURÜCK

Prämonstratensisches Leben

Längst vor der Entdeckung der Globalisierung war die Kirche weltweit verbreitet, organisiert und vernetzt. An dieser Globalisierung oder Internationalisierung der Kirche hat auch unser bald 900 Jahre alte Orden der „Regularkanoniker von Prémontré" teil. Die Prämonstratenser sind in allen fünf Kontinenten vertreten, insgesamt in 23 Ländern. Das drückt sich in einer großen Vielfalt und Farbigkeit der verschiedenen Ordenshäuser zwischen Südamerika und Australien aus, in den verschiedenen Hautfarben und Kulturen, in den vielfältigen Sprachen und Lebensformen, in den diversen Lagern und theologischen Positionen.

Um in dieser Vielfalt die Einheit zu bewahren, hat das Generalkapitel ein gemeinsames „Vision-Mission-Statement" verabschiedet. Es handelt sich dabei um eine „Kurzformel" der Ordensspiritualität, auf die sich neben der Ordensregel und den Konstitutionen alle Prämonstratenser und Prämonstratenserinnen mit großer Mehrheit einigen konnten.

 

„Angezogen durch unseren barmherzigen und Dreieinigen Gott,
sind wir als Getaufte gerufen,
dem armen und auferstandenen Christus
in einer radikalen und apostolischen Lebensweise zu folgen,
gemäß dem Evangelium, der Regel das Hl. Augustinus
und dem Charisma des Hl. Norbert,
dem Gründer unseres Prämonstratenser-Ordens.

Unsere Lebensweise ist geprägt
von der lebenslangen Gottsuche in der brüderlichen Gemeinschaft,
der ständigen Bekehrung, durch die wir uns der Kirche unserer Profess
in Gemeinschaft mit dem sich selbst entäußernden Christus schenken,
der Nachahmung Marias im Nachdenken über Gottes Wort,
dem ständigem und unaufhörlichem Gebet und Dienst am Altar.

Vom Chorgebet und Altar aus werden wir gesandt,
den Menschen im Geist der Einfachheit, der Gastfreundschaft,
der Versöhnung und des Friedens
zum Wohl der Kirche und der Welt zu dienen.
Besonders werden wir dorthin gesandt,
wo Christus gefunden wird unter den Armen und Leidenden
und unter denen, die Christus nicht kennen.

Wir beten, dass der Heilige Geist vollende,
was er in uns begonnen hat, am Tag Jesu Christi."

 

Diese Kurzformel drückt unser Selbstverständnis als Regulierte Chorherrn aus. Unsere Berufung als Ordensleute basiert auf der Taufgnade, die uns durch Gottes gnädige Güte und Barmherzigkeit geschenkt wurde. Die Taufe ist das grundlegende Sakrament und verbindet uns mit allen Christen und verpflichtet uns zugleich zu einem gottgeweihten Leben. Zu dieser allgemeinen christlichen Berufung kommt die Berufung als Ordenschristen hinzu, auf diese christliche Erwählung in einer radikaleren und an der Urkirche maßnehmenden Weise zu antworten.

 

Die Lebensform der Kanoniker und Chorherren realisiert sich in einem Leben in Gemeinschaft, die auf Teilhabe und Partizipation beruht. Wir teilen das Leben miteinander mit Gebet und Arbeit, mit Gottesdienst und Weltdienst, mit „contemplatio" und „actio", mit „Einkehr und Einsatz", zentriert in einer lebendigen Ordensgemeinschaft, die sich nach Innen in Christus verortet und nach außen zu den Menschen gesandt weiß. Das Modell dieses Zusammenlebens ist in dem Wort ausgedrückt, das in der Apostelgeschichte über die ersten Christengemeinden ausgesagt wurde und das am Beginn unserer Ordensregel steht: „Ein Herz und eine Seele auf Gott hin" (Ag 4,32). Hier ist der Gemeinschaftsaspekt besonders betont und die Zielrichtung klösterlichen und kanonikalen Lebens deutlich markiert: also zusammen auf Gott hin leben und streben, wobei dieses Zusammen einmal die brüderliche oder die schwesterliche Gemeinschaft meint, aber zum andern darüber hinausgreift auf die Menschen hin, denen wir in unseren verschiedenen seelsorglichen Einsätzen begegnen und denen wir besonders in unserem priesterlichen Auftrag dienen.

 

Diese grundsätzliche Verortung kanonikalen Lebens innerhalb des Gottesvolkes wird jetzt in zwei Schritten weiter entfaltet. Was ist unsere Vision? Welchem Ideal streben wir entgegen und wie setzen wir dieses Ideal in Ort und Zeit um, in die wie als Prämonstratenser hineingestellt sind. Ziele und Vision müssen operationalisiert werden, damit sie im Alltagsleben gelebt und mit Leben gefüllt werden können. Was leben wir und wie leben wir? Aufgeführt sind jeweils vier Exerzierfelder, die sich aus unserer Ordenstradition und Ordensgeschichte entwickelt haben. Es sind dies die lebenslange Gottsuche, die ständige Bekehrung unseres Lebens, die Betrachtung des Wortes Gottes, wie Maria das vollendet konnte, und das nie endende Gebet sowie der Dienst am Altar.

 

Damit sind wirklich vier Grundpfeiler unseres kontemplativen Lebens in und als Gemeinschaft umschrieben. Dies ließe sich nun in jedem Punkt näher entfalten. Aber hier soll es genügen, auf die Bedeutung des gemeinsamen und feierlichen Chorgebetes der Chorherren hinzuweisen, die ihr „Gebet der Kirche" als Kirche verstehen. Jede Kanonie ist nämlich eine „ecclesiola", eine Kirche im Kleinen mit dem Altar im Zentrum, der Christus repräsentiert, und auf den die Chorherren ihre Profess ablegen. Dieses Gebet findet immer in der Kirche statt, das heißt, es ist immer öffentlich und somit alle einladend, damit die Gläubigen daran teilnehmen können. Gebetet wird also in der Kirche und für die Kirche, für die Anliegen und Nöte der Menschen, für die Welt und ihre vielfachen Unerlöstheiten und Verstrickungen, mit all ihrer "Verwirrung und Sünde".

 

Diesem feierlich gestalteten und gesungenen Chorgebet gilt zusammen mit der täglichen Eucharistiefeier das Hauptaugenmerk einer kanonikalen Gemeinschaft. Dieser Hauptsorge entspricht bei den Benediktinern das Wort, dass dem „officium divinum" nichts vorgezogen werden soll. Es versteht sich fast von selbst, dass der in Gemeinschaft vollzogenen „contemplatio" in Chorgebet und Eucharistiefeier auch eine ganz persönlich gepflegte und individuell ausgestaltete Frömmigkeit zur Seite stehen muss. Von dieser innigen Beziehung zum Herrn jedes einzelnen Mitbruders oder jeder Mitschwester wird das gemeinsame Beten aufgeladen und getragen und umgekehrt findet das persönliche Gebetsleben Nahrung, Inspiration und feierliche Überhöhung durch die Klosterliturgie. Aus dieser Kombination von Innerlichkeit und Feier mag dann auch die ständige Umkehr-bereitschaft erwachsen, sich mit seinem Leben und dem Lebensstil immer wieder neu und erneuert dem Herrn anzugleichen und ähnlicher zu werden.

 

Für die Menschen, die jeweils „unter dem Krummstab lebten", ist sicher die Pfarrseelsorge der Prämonstratenser am augenfälligsten, wenn es um die Außenwirkung des Ordens geht. Die Prämonstratenser gelten als Seelsorgeorden, der sich fast von Beginn an der pfarrlichen und pastoralen Sorge an den Menschen widmete. So entstanden meist rund um die Abteien inkorporierte Pfarreien, auf denen Mitbrüder als Pfarrer wirkten und seelsorglich tätig waren. Dies ist wohl bis heute im Orden so geblieben, auch wenn das eine oder andere Haus auch noch andere Aktionsfelder und Aktivitätsschwerpunkte haben mag.

 

Besonders deutlich hat sich das in Österreich entwickelt, wo die Orden durch den Josephinismus gezwungen waren, alle Kräfte in die Pfarrseelsorge zu investieren. Gleichwohl reicht die Spannweite der Aktivitäten über die Pfarreien hinaus in Schulen und Bildungsreinrichtungen, in kategoriale Seelsorgsaufgaben wie Gehörlosenarbeit, Gefängnisseelsorge, Krankenhauspastoral, Schul- und Jugendpastoralarbeit, in Missions- und Sozialeinsätzen, in Forschung und Lehre. Jedes Haus sucht eine Antwort zu geben auf die Nöte der Umgebung und auf die „Zeichen der Zeit". Fast jedes Haus hat die Pforten geöffnet, um den Menschen in „Geistliche Zentren" Räume und Orte anzubieten, wo sie auftanken und sich neu orientieren können.

 

Die Prämonstratenser haben eine starke christologische Ausrichtung, eine ganz auf den Herrn gerichtete Zentrierung, die sich in einer sorgfältig gepflegten Liturgie äußert, aber gleichzeitig auch den seelsorglichen und missionarischen Impetus in sich trägt, Jesus zu den Menschen zu tragen, den Herrn unermüdlich zu verkündigen, mit seinem ganzen Lebensstil und Lebenswandel Verkünder und Zeuge des Auferstandenen zu sein. Gerade der weiße Habit wurde in der Ordenstradition immer so gedeutet als Anspielung auf den Engel am Grab, „dessen Gestalt leuchtete wie der Blitz und dessen Gewand weiß war wie Schnee" (v 3), und der zu den Frauen sagte:


„Fürchtet euch nicht! Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier; denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht euch die Stelle an, wo er lag. Dann geht schnell zu seinen Jüngern und sagt ihnen: Er ist von den Toten auferstanden. Er geht euch voraus nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen. Ich habe es euch gesagt" (Mt 28,5-7).

 

Dieses ‚Demonstrative' und ‚Zeugnishafte' wurde für die Prämonstratenser grundlegend, längst bevor das Konzil den Zeugnischarakter jedes Ordenslebens und die Zeichenfunktion der gottgeweihten Hingabe, besonders der gottgeweihten Ehelosigkeit, eigens herausgehoben hat. Dass damit auch im Sinne des „Vision-Mission-Statements" ein hoher Anspruch verbunden ist, wird schon eingangs gesagt: Wir sind berufen, in einer radikalen und apostolischen Lebensweise dem armen und auferstandenen Christus zu folgen, gemäß dem Evangelium, gemäß der Regel des Hl. Augustinus, gemäß dem Charisma des Hl. Norbert, dem Gründer des Prämonstratenserordens. Und am Ende wird um den Geist Gottes gebeten, „damit er in uns vollende, was er in uns begonnen hat".

 

Thomas Handgrätinger